”Assuming you´d cut off my head.” ”Would I say me and my head, or me and my body?”
Wir reisen in die Vergangenheit eines vieldiskutierten Regisseurs. Vieldiskutiert besonders in Anbetracht seines bewegten und skandalträchtigen Lebens. Gerne wird dabei vergessen, dass er ein begeisterter Filmlieberhaber ist und sein Handwerk mit einer unglaublichen Feinfühligkeit für´s Detail beherrscht. Gemeint ist natürlich Roman Polański.
Von ihm als Person möge sich jeder sein eigenes Bild machen und auch ich bin mir anhand etlicher Interviews, in denen seine (meist zynische) Persönlichkeit zum Vorschein kommt, nicht ganz sicher was ich von Polański auf rein menschlicher Ebene halten soll. Auf mich zumindest übt er eine ganz besondere Faszination aus, die vermutlich genau von dieser Zwiespältigkeit ausgeht. In seinen Filmen findet man immer wieder kleinere Fragmente von Polański´s Wesenszügen, oder zumindest glaube ich diese zu erkennen. Seine persönliche Handschrift ist meistens nur schwer zu erkennen, da sie in der Regel immer nur dann zu sehen ist, wenn er sich in seinem kunterbunten Oeuvre innerhalb eines Genres, oder zumindest in genre-verwandten Gefilden bewegt.
Jetzt aber erstmal genug zur Person, denn ich will nicht den gleichen Fehler machen wie ebendiese Leute, denen Polański mittlerweile scheinbar überdrüssig ist (sich dann aber doch wieder zu einem Interview hinreißen lässt).
Meine Wahl fiel auf Le Locataire als erste Rezension eines Polański´s, besonders deshalb, weil der Film für mich einer der ersten nägelkauenden Thriller war die mich als Teenager begeistert hatten, und der Film von Kritikern sowohl damals wie auch heute gerne übersehen wird. Oft wird auch an den "fragwürdigen" Handlungen des Protagonisten herumgemäkelt, was meiner Meinung nach in einem Film der in seiner durch und durch pessimistischen Grundstimmung schon beinahe einer Farce gleicht, eher zweitrangig ist.
Ich war also sehr gespannt was ich von Le locataire halten würde, nachdem sich meine Sicht auf Filme im Laufe der Jahre grundlegend geändert hat und ich den Film mit der heutigen Abgeklärtheit sehen würde. Nach erneutem Sehen war ich mehr als erleichtert und machte gedankliche Luftsprünge vor Freude wie ein frisch fritiertes Eichhörnchen wenn´s blitzt, da ich erstmals all den Symbolismus, die gute Kameraarbeit und somit die komplette Spannung des Films erkennen/erleben konnte.
Handlung:
Trelkovsky (Polański), ein introvertierter, polnischstämmiger Mann ist auf Wohnungssuche in Paris. Fündig wird er in einem mehrstöckigen Mietshaus. Bei der Besichtigung seines zukünftigen Appartements erfährt er von der unfreundlichen Concierge, dass sich seine Vormieterin bei einem Selbstmordversuch aus dem Fenster gestürzt hat. Durch die Geschichte gerührt, besucht Trelkovsky die Vormieterin "Simone Choule" im Krankenhaus, wo er dessen Freundin Stella kennenlernt. Simone, die unfähig ist sich Trelkovsky und Stella mitzuteilen, stirbt wenig später. Trelkovsky der fortan in der von Stella möblierten Wohnung lebt, stößt auf mysteriöse Hinweise und versucht den Beweggründen des Selbstmordes seiner Vormieterin auf den Grund zu gehen. Als die boshaften Mieter zunehmend in Trelkovsky´s Privatsphäre eingreifen und ihn bei jeder kleinsten Bewegung seinerseits der Ruhestörung bezichtigen, sieht Trelkovsky sich zunehmend als Opfer einer Verschwörung.
Mit Le locataire, oder dem Alternativtitel "The Tenant", schließt Polański seine Appartement Trilogie ab, zu der auch die thematisch passenden Vorgänger "Repulsion" und "Rosemary´s Baby" gehören. Die Trilogie behandelt vorallem das Thema der Paranoia und bedient sich als metaphorisches Hilfsmittel einer klaustrophobischen Umgebung in Form von eben "Appartements", in denen sich die Protagonisten den überwiegenden Teil der Handlung befinden und ihren Ängsten ausgeliefert sind. Insgesamt lässt sich das Gesamtwerk wohl in das Genre des Psychothrillers/Horrors einordnen, wobei hier die Grenzen fließend sind.
Die Eröffnungssequenz von The Tenant in Form eines Tracking Shots bietet sofort eine der großartigsten Szenen des Films, in der die geheimnisvolle Stimmung wunderbar eingefangen wird. Ein junger Mann steht an einem Fenster, die Kamera wandert perspektivisch nach unten und zeigt ein großes Loch in der ein paar Stockwerke tiefer befindlichen Zuckerglas-Überdachung, jetzt wandert die Kamera wieder nach oben und statt dem jungen Mann steht jetzt eine Frau an seiner Stelle. Die Kamera fährt nun am Gebäude entlang und macht kurz an einigen Fenstern halt, in denen wir Personen erkennen können, die uns statisch, wie aus einem Scherenschnitt-Theater, anblicken. Das von Philippe Sarde komponierte Main Theme ertönt mit mystischen Klängen und erinnert an einer Stelle durch ein hallendes Glockenspiel schon fast an die bekannte Harry Potter-Melodie. Schon jetzt haben wir irgendwie das Gefühl uns in einem klassischen Haunted-House Film zu befinden.
“What if she gets better?” “Don’t worry, she won’t get better.”
Polański in der Rolle des Trelkovsky betritt das Bild, ein Mann von kleiner Statur. Mit schüchterner Stimme stellt er sich bei der Concierge vor, die ihm sofort unfreundlich antwortet. Auch ihr Hund scheint es nicht gut mit Trelkovsky zu meinen und schnappt sofort nach ihm. Wortlos betreten beide die ehemalige Wohnung von Simone Choule, der Vormieterin, die sich dort ein paar Tage zuvor aus dem Fenster stürtze. Unter schlagartig sarkastischem Gelächter der Concierge erfährt Trelkovsky die Neuigkeiten. Frau Choule befindet sich trotz schwerer Verletzungen noch unter den Lebenden, doch die ältere Dame ist zuversichtlich, dass der Tod der Vormieterin nicht mehr fern ist, und so stehen Trelkovsky´s Chancen die Wohnung zu beziehen sehr gut.
Für Verhandlungen stattet er dem Vermieter einen Besuch ab, der ebenfalls im Haus lebt und mit Argusaugen über die Bewohner des Hauses wacht. Auch hier trifft unser Protagonist auf mürrische Gesichter, die nur flüchtig Augenkontakt mit ihm halten. Durch Hartnäckigkeit gelingt es ihm immerhin unter seinen Mitbewerbern in die engere Auswahl genommen zu werden. Anschließend mach sich Trelkovsky auf den Weg ins Krankenhaus, um sich nach dem Befinden der schwerverletzten Vormieterin zu erkundigen. Nach einem Gespräch mit der Empfangsdame und einer Krankenschwester merken wir langsam, dass sich ohne ersichtlichen Grund scheinbar jede Person bissig gegenüber ihm zu verhalten scheint. Die Grautöne des Mietshauses sowie die karge Ausstattung der Krankenstation tragen zur trostlosen Stimmung bei. Der Film weist mittlerweile kafkaeske Züge auf.
Trelkovsky trifft am Krankenbett auf Simone´s Freundin Stella. Die den Tod symbolisierenden Orangen dürfen natürlich nicht fehlen, und so bringt Trelkovsky gleich eine ganze Tüte Orangen mit, welche ihm ironischerweise auch noch unter Simone´s Bett rollen. Simone ist katatonisch, und ihr Körper so großflächig einbandagiert, dass sie an eine Mumie erinnert. Erst der permanent geöffnete Mund komplettiert diesen Gedankengang. Sie lässt einen markerschütternden Schrei von sich, als ob sie etwas vor ihrem geistigen Auge erblicken würde. Unser Protagonist und seine neue Bekanntschaft müssen die Station verlassen. Wenig später erfahren wir, dass Simone inzwischen verstorben ist.
Bis dahin aber zeigt uns das Drehbuch mit wieviel Liebe zum Detail dessen Charaktere geschrieben sind. Trelkovsky, der in seiner boshaften Umgebung versucht jeder Unanehmlichkeit aus dem Weg zu gehen, behauptet gegenüber Stella im Café telefonieren zu müssen, nur um die Toilette nutzen zu können. Von einem Obdachlosen lässt er sich anschließend beklauen, wird dafür sogar noch verspottet und verabschiedet sich höflich am Telefon, nachdem er deutlich schockiert von Simone´s Tod erfährt. Hatte ich schon die kafkaeske Stimmung erwähnt?
Unser Portagonist bezieht sein neues Apartment. Die Habseligkeiten von Simone Choule liegen noch an Ort und stelle. Trelkovsky´s Freude über den Einzug ist groß. Durch die gute Kameraarbeit folgen wir ihm in unterschiedlichen Einstellungen durch die Räumlichkeiten, öfters auch in längeren Shots, und wir können uns ein gutes Bild von der neuen Umgebung machen. Wenn wir nicht gerade Trelkovsky´s Mimik sehen, sondern er mit dem Rücken zu uns steht, ist an vielen Stellen sein Spiegelbild in der Ferne zu erkennen, in dessen Reflektion man sich verleitet fühlt wie in einem Wimmelbildspiel nach Auffälligkeiten zu suchen. Polański erzeugt durch Ruhe und Nähe zum Charakter selbst bei banalen Handlungen eine dichte Atmosphäre.
Trelkovsky findet ein Kleid der Vormieterin. Die gute Laune schwindet und er fühlt sich gezwungen nochmals aus dem Fenster und
in die Tiefe zu sehen, wo Simone Choule sich in den Tod stürzte. Die Frage nach den Ursachen ihres Selbstmordes ist wieder da.
Im Café um die Ecke erfährt er durch den Barman von Simone´s Gewohnheiten. Sie vermied grundsätzlich Kaffee und rauchte Marlboro. Mit dem mulmigen Gefühl ohnehin schon in ihrer ehemaligen Wohnung zu leben, versucht Trelkovsky weitgehendst die Gepflogenheiten von Simone zu vermeiden. Es wird Kakao bestellt und das Rauchen erstmal sein gelassen, da Gauloises (von Trelkovsky bevorzugt) heute schon aus sind.
Nach einer ausgiebigen Einweihungsfeier mit "Freunden" erfährt Trelkovsky was die ansässigen Mieter unter Saturday
Night Fever verstehen... nämlich absolute Ruhe. Das Ganze geht so weit, dass ihm sein Vermieter einen Quasi-Rausschmiss androht
falls eine derartige "Orgie" nochmals stattfinden sollte. Bei jedem Schritt unseres Protagonisten stehen die Mieter vor der Tür oder donnern gegen die Wand.
”I found a tooth in my apartment.” ”It was in a hole.”
Im späteren Storyverlauf stößt Trelkovsky auf immer mehr seltsame Entdeckungen, während er zunehmend von den Mietern bedrängt wird. Hinter dem Kleiderschrank findet er den Schneidezahn von Simone, der ihr im Krankenhaus fehlte und deshalb nur von ihr stammen kann...überraschender Weise keine durch den Sturz verursachte Verletzung. Seine Wohnung wird ausgeraubt, offensichtlich hatten die Diebe es nur auf sein persönliches Hab und Gut abgesehen, da der Besitz der Vormieterin unangetastet blieb. Mittlerweile beginnt Trelkovsky zu halluzinieren.
Nachts kann er von seinem Fenster aus Personen erkennen, die in der Gemeinschaftstoilette des Hauses stehen. Diese scheinen, als wären sie zu einem Gemälde erstarrt, völlig regungslos seinen Blick zu erwidern.
Im Café und überhaupt scheint es keine Gauloises mehr zu geben, also muss er zwangsweise auf Malboro umsteigen. Die Concierge bringt ihm regelmäßig Simone´s Post. Langsam glaubt Trelkovsky eine Verbindung mit dem Tod von Simone und der Boshaftigkeit der Mieter zu erkennen. Zudem glaubt er, dass die Bewohner ihn durch gezielte Manipulation in den Selbstmord treiben wollen. Trelkovsky soll sich langsam in Simone Choule verwandeln. Ihr Plan scheint aufzugehen. Realität, Traum und Wahnvorstellung scheinen miteinander zu verschmelzen. Trelkovsky sitzt auf einem Stuhl im Kleid von Simone Choule. Am nächsten Tag hat er jegliche Erinnerung daran verloren. Mit seinem Wahnsinn kocht auch die Wut in ihm hoch.
Die Verwendung der Zigaretten im Film funktionieren neben der storytechnischen Ebene herrlich als Symbolismus für die zunehmende Abgrenzung Trelkovsky´s von der realen Welt. Während die französischen Gauloises sehr beliebt sind (daher ständig vergriffen), akzeptiert Trelkovsky nach kurzweiliger Verweigerung irgendwann auf Marlboro umsteigen zu müssen. Zusätzlich besteht der Bezug auf Trelkovsky´s polnische Herkunft (wenn auch Marlboro keine polnische Marke ist), und nicht selten erfährt er deshalb abwertende Kommentare von seinen rassistischen Mitmenschen.
”A tooth is a part of us...like a bit of our personality”
Was den Film so unglaublich gut macht und was dafür sorgt, dass unser Rätselraten kein Ende mehr nimmt, ist die Zwiegespaltenheit die einem im Verlauf der Geschichte begleitet. Ein gewohntes Schwarz/Weiss-Verhältnis gibt es in Le locataire vermutlich nicht,
obwohl der Film uns glauben lassen will, dass genau das der Fall ist. Zu viele Zufälle ereignen sich, die bestätigen dass eine durchdachte Verschwörung gegen Trelkovsky im Gange ist. Bildet sich unser Protagonist alles nur ein, oder haben sich die Bewohner des Hauses tatsächlich gegen ihn verschworen? Ich glaube dass beide Antwortmöglichkeiten zugleich richtig sind und sich wie ein Reisverschluss in die Handlung einfügen.
Während die garstigen Mieter willkürlich nach ihren Launen handeln, ergänzt die Paranoia von Trelkovsky den Rest des angeblichen Komplotts und führt so in Kombination zu seinem Verderben.
Ich kann hier logischerweise nur von meiner persönlichen Theorie sprechen.
”I sent her a postcard from the egyptian departement of the Louvre”
Ein weiterer interessanter Punkt ist das ägyptische Thema, welches die Person von Simone Choule umgibt. In ihrem Apartment hängen antik anmutende Bilder, Trelkovsky findet Literatur über Ägyptologie und in seinem Traum sieht er Hieroglyphen an den Wänden der Gemeinschaftstoilette. Eventuell steckt keine tiefere Bedeutung dahinter und ägyptischer Symbolismus fungiert hier nur als gut sichtbarer Ankerpunkt, der dem Zuschauer sagt, dass Trelkovsky sich gerade in einem Traum befinden muss. Wie es in Träumen nunmal üblich ist, wird das Erlebte, und somit die Gedanken an Simone Choule, in Form dieser Darstellung verarbeitet. Wieder einmal eine Theorie die keine zwingende Antwort sein muss und The Tenant gerade deshalb so schön macht.
Im Finale des Films kommt es wie es kommen muss und Trelkovsky ist nur noch mehr ein Schatten seines ursprünglichen Ichs. Die bis zu diesem Zeitpunkt zunehmende Paranoia wird auf unheimlichste Weise veranschaulicht. Der Charakter von Polański wird von einem Wagen angefahren. Als er wieder zu sich kommt schlüpfen wir für eine Sekunde in die Sicht des Protagonisten und aus der unbekannten Dame wird plötzlich die bösartige Fratze einer ihm bekannten Bewohnerin. Trelkovsky fühlt sich nirgends mehr sicher.
Der letzte Funke an Überlebenswille erlischt und Trelkovsky gibt sich dem heimtükischen Plan der Bewohner hin. Er steht an der Schwelle des Fensters an der Simone Choule vor kurzem stand. Ein Trommelwirbel wie bei einer Akrobatiknummer im Zirkus ertönt. Vor seinem geistigen Auge sieht er die Bewohner des Hauses, klatschend, und in freudiger Erwartung auf den Dächern sitzen. Der erste sowie auch der zweite Sprung sollte für Trelkovsky nicht tödlich sein.
Der "Todessprung" bzw. die "Todessprünge" Trelkovsky´s haben für sich stehend betrachtet schon beinahe cartoonesken Charme und werden in einigen Kritiken als "lächerlich" bezeichnet. Im Kontext der Handlung jedoch unterstreicht diese Wahl der Inszenierung lediglich, dass Trelkovsky´s Freitod aus seelischer Erschöpfung gewählt wurde, und nicht etwa aus einem im Rausch der Halluzination entstandenen Impuls herraus.
Im Krankenhaus zu sich kommend, wird er Zeuge einer ihm bekannten Szene. Durch die Augen von Simone Choule sieht er sich selbst mit Stella am Krankenbett stehen, genau zu dem Zeitpunkt als er Simone zum ersten Mal sah. Der Kreis schließt sich. Der am Anfang des Films vernommene Schrei von Simone Choule/Trelkovsky lässt den Raum beben und zaubert mir auch heute noch eine saftige Gänsehaut auf den Rücken, nicht zuletzt wegen der tonalen Verzerrung im letzten Sekundenbruchteil.
Fazit:
Mittlerweile ist Le Locataire für mich DER Psycho-Thriller. Ein Film mit Interpretationsspielraum, vielen versteckten Hinweisen, sowie vereinzelnd skurril-lustigen Stellen (man erinnere sich an Monsieur Marching Band) der immer wieder gesehen werden kann und einen aufs Neue unterhält und gruselt. Wer im Genre-Dschungel von Polanski´s Gesamtwerk erst seit dem Pianisten dabei ist, sollte dem Film eine Chance geben, besonders falls ein Faible für düstere und ruhige Geschichten vorhanden ist. Ein würdiger Abschluss der Appartement- Trilogie, der das Thema der Isolation aus Repulsion, sowie Rosemary´s Baby´s Verschwörungs-Theorie zu einer Einheit verschmelzen lässt.
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