Schwarzes Bild. Ein weisser Punkt erscheint in der Mitte. Wir hören eine weibliche Stimme, die in regelmäßigen Intervallen, wie bei einem Soundcheck, in Lautmalerei zu sprechen scheint. Die Perspektive ändert sich und wir sind uns nicht ganz sicher ob sich das Gezeigte im Weltraum abspielt. Das Bild geht in einen schwarzen Kreis über und die Iris eines Auges erscheint. Die Szene wechselt zu einem Motoradfahrer in Vollmontur, sein Aussehen wird vom dunklen Visier seines Helms verborgen.
Was anfänglich wie ein Tribut an Stanley Kubrick´s 2001: Odyssee im Weltraum aussieht, ist die Eröffnungssequenz zu Johnathan Glazer´s spätesten Werks "Under the Skin". In Deutschland ist der Film seit Oktober 2014 auf DVD und Blu-Ray erhältlich und auch unter dem wie so oft glorreich verhunzten Langtitel "Under the Skin - Tödliche Verführung" bekannt (...der so zum Glück nicht auf dem Cover abgedruckt ist). Nach mehreren Ansätzen den Roman "Die Weltenwanderin" von Michel Faber als Film zu adaptieren, gelang es Glazer nach einer Entstehungsphase von knapp 10 Jahren seinen dritten Feature Film zu vollenden.
Handlung:
Eine Unbekannte (Scarlett Johansson) fährt mit einem Van durch Schottland und spricht Männer auf offener Straße an, um sie augenscheinlich nach dem Weg zu fragen. Helfender Weise und von der attraktiven Frau nicht abgeneigt, steigen diese zu ihr in den Lieferwagen. Was sie nicht wissen: Bei der verführerischen Vagabundin handelt es sich in Wahrheit um ein Wesen unbekannter Herkunft. So wie sich ihre männliche Beute nichtsahnend in eine tödliche Falle begeben hat, so muss die Fremde in einer für sie neuen Welt erfahren, was es bedeutet menschlich zu sein.
Eine Unbekannte (Scarlett Johansson) fährt mit einem Van durch Schottland und spricht Männer auf offener Straße an, um sie augenscheinlich nach dem Weg zu fragen. Helfender Weise und von der attraktiven Frau nicht abgeneigt, steigen diese zu ihr in den Lieferwagen. Was sie nicht wissen: Bei der verführerischen Vagabundin handelt es sich in Wahrheit um ein Wesen unbekannter Herkunft. So wie sich ihre männliche Beute nichtsahnend in eine tödliche Falle begeben hat, so muss die Fremde in einer für sie neuen Welt erfahren, was es bedeutet menschlich zu sein.
Mit einem schweren Seufzer erkenne ich, dass beim bloßen Lesen dieser knappen Handlungsangabe, selbst jemand mit noch so viel Fantasie, sich lediglich das hohle Skelett dieses Biests von einem Film in der eigenen Vorstellungskraft ausmalen kann. Auch die Mutmaßung ein Rip-Off von "Species" vorgesetzt zu bekommen, sollten wir schleunigst verwerfen. Nichts kann uns auf das vorbereiten, was in den Tiefen der folgenden 107 Minuten von "Under the Skin" auf uns lauert. Ich hatte vor der Erscheinung hierzulande noch nie etwas von dem Titel gehört und bin unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen worden.
Keeping It Alien!
Unter diesem Leitsatz, dennoch weit entfernt vom gängigen Sci-Fi Genre, "zeigt" uns Glazer sein Meisterwerk in einer Mischung aus dokumentarischen Aufnahmen mit versteckter Kamera und klassischer Inszenierung. Das Ergebnis fühlt sich melancholisch, grausam, beängstigend und vorallem fremdartig an. Solche Schlagwörter lassen den geschulten Kenner des Genre-Kinos eventuell auf Surrealismus à la Lynch oder Jodorowsky schließen, aber weit gefehlt. Genau das Gegenteil ist der Fall, und mit Ausnahme des Intros und vereinzelnder Blenden im Laufe des Films, zieht Glazer diesbezüglich eine klare Linie. Der Film strotzt nämlich größtenteils vor Bodenständigkeit in seiner bildlichen Darstellung...und was könnte bodenständiger sein als das natürliche und ungeschminkte Treiben in den Straßen von Glasgow mit versteckter Kamera zu filmen?
Scarlett Johansson bewegt sich wortlos durch die Menschenmengen, staged einen Sturz, und hilfsbereite Passanten helfen ihr sofort auf. Um nicht sofort von den schottischen Passanten erkannt zu werden präsentiert sich Johansson in ungewohnter Klamotte mit schwarzen, zerzausten Haaren. In einer anderen Szene betrachten wir mit ausserirdischen Augen einen Mann der schlicht und einfach nur die Straßenseite wechselt. Die heimlich Gefilmten wurden im Anschluss kurzerhand aufgeklärt und dann vom Team gefragt, ob man sie für den Film verwenden darf. Ich verwende den vorhin erwähnten Begriff "ausserirdisch" bewusst zum ersten Mal, da die Unbekannte im Universum des Films nie als solche bezeichnet wird und Glazer vielleicht davon ausging, dass man entweder von der Buchvorlage wusste, oder eben auch nicht...und das ist dann aber nicht weiterhin schlimm. Denn wer den Film in seiner Art zu schätzen weiss, braucht keine großartigen Erklärungen und wird selbstständig genauer hinsehen.
Bei manchen Szenen wollte ich allerdings eher weniger hinsehen. Von klassischer Gewalt ist hier nicht die Rede.
An der Küste der Highlands trifft die Unbekannte auf einen Schwimmer. Das Gespräch der beiden wird unterbrochen als der Schwimmer auf eine sich in Not befindende Familie aufmerksam wird. Eine Frau stürzt sich ins tosende Meer, um ihrem Hund zur Hilfe zu eilen, der den an die Klippen aufbrandenen Wellen ausgesetzt ist. Ihr Mann schwimmt sofort hinterher um Schlimmeres zu verhindern. Jetzt eilt auch der Schwimmer zur Hilfe. Als Frau und Hund bereits von den Wellen verschluckt wurden, versucht der Schwimmer vergeblich den Mann zu retten. Mit letzter Kraft kann er sich an den Strand zurück retten und bricht dort zusammen. Mit völliger Gleichgültigkeit geht die Unbekannte auf den mittlerweile bewusstlosen Schwimmer zu, um ihn nach kurzer Überlegung mit einem Stein zu erschlagen. Ein aus leibeskräften schreiendes Baby bleibt als einziger Überlebender zurück. Nach einer Zwischenszene ist es bereits Nacht und der uns bereits vorgestellte Biker besucht den Strand um die Habseeligkeiten der Famlilie verschwinden zu lassen. Wir flehen darum, dass das immernoch herzerweichend schreiende Baby nun endlich Erlösung finden möge, doch unsere Bitte wird ignoriert. Der Säugling der offensichtlich noch nicht laufen kann, versucht sich in einem letzten Anflug von Überlebensinstinkt auf die Beine zu stellen. Wir werden nie erfahren was mit ihm passiert.
Nach dieser Szene, die mir einen regelrechten Tritt in die Magengrube verpasst hatte, wurde mir klar dass ich mich auf einen Film eingelassen hatte, an dessen Ungeschminktheit zuletzt nur "Irreversible", oder eine Auswahl aus Michael Haneke´s Werken herranreichen konnte. Wie auch bei Haneke ist es vorallem die unmittelbare Nähe zur Realität, oder zumindest fühlt es sich so an, durch die der Film im wahrsten Sinne unter die Haut geht. Die letzte Szene halbweg verdaut wagen wir rückblickend den ersten Versuch, der unterschwellig erzählten Story zu folgen und erkennen, dass der Motorradfahrer so etwas wie ein "Cleaner" sein muss, der mit Argusaugen über unsere unbekannte Protagonistin (im Buch "Laura") zu wachen scheint und deren vermeintliche Missgeschicke korrigiert, was später im Film nochmals verdeutlicht wird.
Eine Studie über das Menschsein.
Die Szene am Strand ist nur ein Beispiel dafür mit welchen Motiven Glazer hier arbeitet. Die Unbekannte, der offensichtlich jegliche Empathie oder Gefühle im Allgemeinen fehlen, steht dem hilfsbereiten Schwimmer, der für eine fremde Familie sein eigenes Leben aufs spielt setzt, in hartem Kontrast gegenüber. Der Versuch des zurückgelassenen Säuglings über seine eigenen Fähigkeiten hinauszuwachsen, setzt dem dann noch die Krone auf. Nie erfahren wir etwas über die unbekannte Lebensform oder deren wahre Motive, sondern blicken vielmehr durch dessen Augen, da wir nie für längere Zeit von der Protagonistin entfernt sind. Glazer will uns zeigen wie SIE sich als Fremde fühlt, weshalb es dringend ratsam ist den Film in seiner Originalsprache zu sehen. Dort wird nämlich jeder, der kein Schotte ist, das Gesprochene der Passanten nur schwerlich verstehen können, während Johannson in klarem Englisch zu hören ist. Nicht ungleich zu unserem Hauptcharakter sind also auch wir in gewisser Weise von der "fremden Welt" irritiert.
Die richtigen Bedingungen sind für den Film-Genuss unabdingbar.
Jedes Mal wenn SIE eines ihrer Opfer in ein abgelegenes Haus lockt, betreten diese einen dunklen Raum, der wie aus Raum und Zeit gelöst wirkt. Beinahe hypnotisiert folgen die Männer der Unbekannten tiefer in den Raum, ohne zu bemerken, dass sie mit jedem Schritt tiefer und tiefer in dem pechschwarzen Boden versinken, der jetzt wie flüssig zu sein scheint. Als dann im Laufe des Films enthüllt wird was genau den unglücklichen Seelen in den Tiefen des Raumes widerfährt, konnte ich gute zehn Minuten nur noch mehr "What the Fuck" vor mich hin stammeln. Für mich bot sich die wohl absurdeste Szene, die ich je in einem Film gesehen hatte. So absurd, dass der weniger feinfühlige Zuschauer, oder falls der Film unter den falschen Bedingungen gesehen wird, vielleicht nur laut darüber lachen wird und man sich an die täglich zur Schule mitgenommene Capri-Sonne erinnert fühlt. So verhält sich das ja bekanntermaßen mit dem "Irrwitzigen" oder "Komischen". Da! Der Begriff selbst sagt es schon. Zumindest mich und viele andere hat Glazer mit voller Breitseite erwischt.
Soylent "Red" is people!
Für uns als Zuschauer bleibt unklar, was mit den menschlichen Überresten der Männer passiert. Die rote Masse verschwindet in einem Schacht und wir sehen einen Lichtstrahl aus ebenso rotem Licht. Ich mutmaße, dass es sich bei dem Liebesnest unserer Protagonistin um so etwas wie eine interplanetare Menschenfarm handelt, genauso gut könnte das Haus eine einzige Metapher für das Innenleben der Unbekannten sein, und die Männer dienen als Nahrungsquelle für sie selbst. Vermutlich werden nur Kenner des Buchs beim Sehen dieser Szene ein klares Bild vor Augen haben.
Die schleichende Kehrtwende ab der Mitte.
Auf was der Film von Anfang an hinarbeitet wird uns ab der Mitte präsentiert. Die Unbekannte trifft nachts im Zuge ihres männerverführenden Alltags auf einen an Neurofibromatose erkrankten Mann. Von ihm erfährt sie, dass er wegen seines deformierten Gesichts tagsüber nie das Haus verlässt, um der Ignoranz seiner Mitmeschen aus dem Weg zu gehen. Da die Unbekannte den bereits misstrauischen Fremden mit schmeichelnden Worten schlussendlich in die Falle locken kann, erkennen wir nun erstmals, dass Laura also doch so etwas wie Einfühlvermögen besitzt, zumindest oberflächlich betrachtet.
Spätestens nachdem auch er vom Boden verschluckt wurde merkt unsere Protagonistin, dass sich irgendetwas an ihr verändert. Argwöhnisch betrachtet sie ihr Spiegelbild, und da wo sich zuvor nur ebenmäßige Kälte befand, macht sich nun der Ausdruck von wahrem Mitleid breit. Ein für sie unerklärlicher Impuls treibt sie dazu, den fälschlicherweise von vielen als "Elefantenmensch" Bezeichneten kurzerhand frei zu lassen. Auch hier wird nicht erklärt wie der Mann aus den Tiefen des Bodens wieder auftauchen konnte. Danach kommt unser Biker wieder ins Spiel und waltet seines Amtes.
Klänge zwischen Terror und Melancholie.
Der großartige Soundtrack ist vermutlich einer der Gründe weshalb wir gänzlich in der Rolle von Scarlett Johansson abtauchen können, ohne vom langsamen Erzähltempo des Films in den Schlaf gewogen zu werden.
Die fremdartigen Klänge aus der Feder von Mica Levi, greifen ironischerweise auf klassische Instrumente zurück. Deutlich sind hochklingende Violinen zu hören, die mit steigender Spannung irgendwann zu einem wütenden Schwarm Wespen anschwellen. Wer denkt, solche Töne zuvor in einem x-beliebigen Thriller gehört zu haben, wird nach kurzer Zeit eines Besseren belehrt. Denn so langsam und unterschwellig wie der Soundtrack an Intensität gewinnt, kann man wenn überhaupt wieder nur auf das Meisterwerk von Stanley Kubrick als Inpirationsquelle querverweisen. Richtig disharmonisch und seltsam werden die Streichinstrumente dann erst als Johannson ihre Hüllen fallen lässt und sich ihr erstes Opfer, unter der Begleitung von vereinzelnden Trommelschlägen, rythmisch auf sie zu bewegt. Die Töne klingen dabei oft so künstlich, dass sie schon fast an die quietschigen Stimmen eines Theremin erinnern.
Der Track mit dem Titel "Love" hat es mir besonders angetan. In einer Szene, in der unsere Protagonistin das erste Mal versucht körperlichen Kontakt zu einem Menschen herzustellen, lässt uns die sanfte, fast hypnotisierende Melodie mit Laura dahinschmelzen. Jedoch klingt auch dieses schöne Stück nicht gänzlich harmonisch und wird gelegentlich von schiefen Noten gestört, was uns wiederum klar macht, dass sie ihre neuen Gefühle erst noch erforschen muss.
Das Dilemma alles Menschlichen?
Im Finale des Films fällt unsere Protagonistin einem Vergewaltiger zum Opfer, als sie im Wald umherirrend versucht neue Eindrücke zu gewinnen. Im Eifer des Gefechts tritt das Wesen hervor, welches sich unter der titelgebenden Bezeichnung des Films verbirgt. Dem irritierten Blick ihres Peinigers folgt der Griff zum Benzinkanister, und nicht minder irritiert steht Laura plötzlich in Flammen. Mit unserer Protagonistin verbrennt auch die letzte Hoffnung unsererseits auf klärende Antworten. Den Rauch des Feuers begleitend wandert die Kamera abschließend in Richtung Himmel.
War dieses Ende nötig? Will Glazer bzw. der Autor der Romanvorlage uns damit zu verstehen geben, dass menschliches Verhalten zum Scheitern verurteilt ist, bzw. Laura als zum Mensch werdende Figur? Vielleicht erzählt der Film auch von Willkür, die bekanntlich von impulsiven Verhalten (also Gefühlen) ausgelöst wird. Die Willkür der das zuvor gefühlskalte, und organisierte Wesen unserer Hauptcharakterin zum Opfer fiel. Was uns die Geschichte von Laura, über das Gesehene und Empfundene hinaus, mit auf den Weg geben will bleibt jedoch weitgehend unklar und liegt zum Glück im Auge des Betrachters.
Für mich ist jedoch klar, dass Under the Skin einer der beeindruckendsten Filme ist, die ich je gesehen habe. Selten hat mich ein Film nach erstmaligem Sehen so gepackt und nicht mehr losgelassen. Für mich (unabhängig der unter vielen Filmkritikern inflationären Verwendung des Begriffs) ein absolutes Meisterwerk, das es verdient hat gedanklich immer wieder zerlegt und wieder zusammengesetzt zu werden.
Fazit:
Gut dass Glazer sich die Zeit gelassen hat, und nach fast einem ganzen Jahrzehnt ein Meisterwerk erschaffen hat, das buchstäblich unter die Haut geht. Wer versucht Under the Skin in irgendein Genre zu stecken wird nicht fündig werden. Wir schlüpfen in ausserirdische Augen und der Film bleibt seiner Behauptung, durch und durch "alien" zu sein, treu. Wir erhaschen lediglich ein Quentchen davon, was unsere Protagonistin in einer ihr fremden Welt erfahren muss, werden allerdings mit einem einzigartigen Gefühl zurückgelassen, das Under the Skin gerade zu einer Erfahrung ansich macht, als einen Film im klassischen Sinne.
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